Der Tote im Grandhotel by Eva Bellin

Der Tote im Grandhotel by Eva Bellin

Autor:Eva Bellin [Bellin, Eva]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2006-10-25T21:00:34+00:00


Sie führte anfangs sporadisch Pelze vor, dann verrückte Klamotten bei der Junge-Mode-Woche. Sie machte eine nette kleine Karriere, ließ alles stehen und liegen und startete nach Paris. Eine Agentur nahm sie unter Vertrag. Sie hungerte noch einige Pfunde herunter, ließ die Nase verkleinern und den Busen neu stylen. Von einem

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verheirateten Geschäftsmann bekam sie eine Wohnung und ein

Kind. Der Sohn hieß Alain. Ihr Französisch behielt einen deut-

schen Akzent, der den Leuten gefiel.

Sie trug mit Vorliebe Sachen von Kenzo. Als sie sich von ihrem

gealterten Liebhaber trennte, ließ sie ein neues Lifting machen und setzte ihren Weg entschlossen fort, nicht an die Spitze, aber im guten Mittelfeld – bis viel jüngere Frauen ihre kleinen Hintern über die Laufstege schwenkten, die Bars rauchiger und die Drinks schwerer erschienen und der Überblick über Zigaretten- und Männerkonsum sich schwieriger gestaltete.

Charlotte machte wieder einen neuen Anfang. Sie ging zurück

nach Berlin und eröffnete eine Boutique für Second Hand und

Neues. Beziehungen hatte sie genug. Ihr Laden wurde ein Erfolg, wie alles, was Charlotte anpackte. Alain fehlte ihr ein bißchen, aber er studierte in Paris und besuchte sie manchmal.

Ihr kleiner Neffe Moritz, der da aus der Provinz anreiste, erinnerte sie an die eigenen Anfänge. Sie nahm ihn unter ihre Fittiche, besorgte ihm die Wohnung im Zentrum, gab ihm Tips, wie

man sich einrichtete, anzog, benahm.

Als sie ihn zum erstenmal abends in eine Bar ausführte, trug sie einen durchsichtigen Body mit langen Ärmeln, der unter schwar-zem Stretchnetz ihre tadellosen nackten Brüste sehen ließ, und da-zu eine Art rotes Tutu, schwarze Strumpfhosen und rote Pumps.

Moritz war nicht so naiv zu glauben, dies sei die übliche Kleidung weltläufiger Damen für die mondäne Bar, ob in Berlin, in Paris

oder anderswo.

Er blickte ihr tapfer in die Augen, vermied es, auf ihren Busen zu starren, gab ihr Feuer für zahlreiche Zigaretten und tanzte locker mit ihr auf der Glasfläche, die Laserstrahlen aus der Wirklichkeit herausschnitten.

Sie amüsierten sich beide. Charlotte fand es süß, daß der hübsche Bengel hier Große Welt spielte. Moritz dachte, daß seine Tante, die 75

so hieß wie die kleinen französischen Zwiebeln, vielleicht doch eine wildgewordene Kleinstädterin war.

Nun ruhte Moritz in seiner Wohnung aus und genoß Phil Col-

lins' samtigen Elendssong. Der Dienst war anstrengend. Aber Mo-

ritz beklagte sich nicht. Er hatte eine Freundin: Enna, Arzttochter, hübsch und solide. Er wußte wohl, daß es ihn zu Männern hinzog, aber das wollte er nach Kräften ignorieren. Wie es Thomas Mann

getan hatte. Ja, er würde ein stinknormales bürgerliches Leben führen, keine Randexistenz sein. Er haßte die kämpferische wie die weinerliche Pose, mit der sich schwule Männer oft im Fernsehen

präsentierten. Er wollte die Karriere in der Welt der Heteros. Hei-raten. Kinder haben. Es war möglich. Er konnte mit Frauen.

Eisern übte er mit seinem Expander, machte Liegestütze und da-

nach noch die Isometric-Übung, die er schon als Knabe in Rends-

burg durchgeführt hatte: Mit aller Kraft stemmte er sich gegen eine Wand und zählte bis fünfzehn. Das machten die russischen Sportler so, hatte er damals in einer Zeitschrift gelesen. Es setzte Muskeln an.

Heute kam er nicht weit mit seinen Übungen. Ganz plötzlich ver-

harrte er, um den Plan herauszulassen, der sich im Unterbewußt-

sein entwickelt hatte.



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